In Hoffmanns Kater Murr wird viel geträumt: Menschen und Tiere haben sowohl Nacht- als auch Tagträume. Der Vortrag will die Verflechtung des Romans in die theoretischen und intertextuellen Traumdiskurse seiner Zeit und die Art und Weise untersuchen, wie Träume zur Charakterisierung der Protagonisten oder für die Kohäsion des Romans eingesetzt werden. Einige Nachtträume vermitteln, der romantischen Anthropologie folgend, eine Teilhabe des träumenden Individuums am Kosmos und ein dem Individuum auf rationalem Wege nicht erklärbares Wissen, das die spätere Romanhandlung antizipiert. Gleichzeitig wird die romantische Traumtheorie jedoch ironisiert, indem deren Vertreter durch den Kater Murr eingeführt werden, der vorgibt, sie gar nicht gelesen zu haben. Viele Tagträume dagegen fungieren als Mittel psychologischer Charakterisierung. Träume vermitteln ein Kaleidoskop an Emotionen: Sie können spukhaft, süß, leer, seltsam, närrisch, betörend, böse, verhängnisvoll, schwärmerisch oder selig sein. Sie verbildlichen oft Sehnsüchte, die durch die Diskrepanz zwischen banalem Inhalt und hohem Ton der Satire preisgegeben werden und Leser*innen eine 'träumerische Verwechslung des geistigen und leiblichen Genusses' vorführen.
Author: Institute of Languages, Cultures & Societies
Speaker(s): Ricarda Schmidt (Exeter); Introduction: T.J. Reed (President, English Goethe Society); Moderation: Astrid Köhler (QMUL)
Organisations: Institute of Languages, Cultures & Societies
Event date: Thursday, 12 May 2022 - 5:45pm